Impulsvortrag und Gespräch
Anne Newball Duke, Kultur- und Literaturwissenschaftlerin, freie Hausfrau (den Begriff habe ich entliehen von Ina Praetorius, hoffentlich in richtiger Verwendung…;) und Autorin.
Literarische Eutopien – also dezidiert positive Utopien – haben das Potenzial, das Gehirn zu weiten und Neuronen über die Synapsen neu zu verknüpfen, was wiederum Vorbedingung für radikales und freiheitliches Denken ist, davon bin ich überzeugt. Allerdings fehlt es an ausgepinselten, jedoch keineswegs widerspruchs- und konfliktfreien sozialen utopischen Entwürfen, schaut man sich gerade im deutschsprachigen Literaturbereich um. Warum ist das so? Was hält Schriftstellerinnen davon ab, positive fiktive Gesellschaften zu entwerfen? Was hält Verlage davon ab, bereits existierende Romane (neu) zu übersetzen und aufzulegen (Marge Piercys Roman Woman on the Edge of Time ist in der deutschen Übersetzung Frau am Abgrund der Zeit momentan nur extrem verteuert antiquarisch erhältlich; viele Übersetzungen von feministischer US-Science Fiction sind schlecht und dadurch nicht selten unverständlich)? Was hält Leserinnen davon ab, jene, die es gibt, zu rezipieren? Kann man gar von einer ausgewachsenen Utopiephobie sprechen? Resultiert sie beispielsweise aus Theodor W. Adornos relativ unkonkret formuliertem Tabu, welches besagt, dass eine detaillierte Auspinselei von zukünftigen Gesellschaften verboten sei? Und wie tief haben sich Francis Fukuyamas apokalyptische Worte vom „Ende der Geschichte“ in unser kollektives Bewusstsein gegraben? Kann in dieser Utopielosigkeit eine Erklärung dafür gefunden werden, dass die Menschen lieber im ewigen Jetzt verharren, denn wer gibt schon gern ihre zumeist hart erkämpfte, wenn auch teilweise noch so labile Sicherheit auf, nur um ins „Leere“ zu springen?
Meiner Wahrnehmung nach wirkt dieses uns von linken sowie von konservativen
Philosophen auferlegte Denkverbot trotz der lauter werdenden, aber oft nur halbherzig
gemeinten und/oder nur in partielle Lebensbereiche hineinreichenden Aufrufe zum
Entwerfen von Utopien noch immer bleiern auf unser utopisches Denkvermögen. Ich bin der Ansicht, dass dieses Tabu nicht mehr zeitgemäß ist und möchte Vorschläge unterbreiten, wie es zumindest in den Köpfen aufgewirbelt, zur Disposition gestellt und im Idealfall überschritten (als einer Bedeutung des Themas der diesjährigen Denkumenta) werden kann. In einem Impulsvortrag stelle ich mein aktuelles Buchprojekt vor und freue mich sehr auf eine anschließende Diskussion.