Das bedingungslose Grundeinkommen, die Care-Ökonomie – und Frauen, die mehr wissen wollen
Referat von Ina Praetorius zur Einführung in den Denkumenta-Workshop mit Martha Beéry-Artho
Liebe Frauen und liebe Männer, die ihr euch für das bedingungslose Grundeinkommen und für eine neu gedachte Ökonomie interessiert -und „mehr wissen wollt“,
Ihr habt dem Programmtext zu diesem Workshop entnommen, worum es hier geht: es geht um eine Auslegung des Zukunftspropjekts „BGE“ im Sinne unseres ABC, also im Sinne des postpatriarchalen Denkens. Und zwar dargestellt am Beispiel aktueller Ereignisse in der Schweiz.
Wie ihr vermutlich wisst, ist die BGE-Bewegung eine schnell wachsende, lebhaft diskutierende sozialpolitische Bewegung. Eine Bewegung, die in allen drei deutschsprachigen Ländern existiert, allerdings in unterschiedlicher Weise, je nach politischer Kultur. Die Bewegung gibt es auch über den deutschsprachigen Raum hinaus: in der EU läuft bis Anfang 2014 eine Unterschriftensammlung dazu. Und in vielen Teilen der Welt gibt es Konzepte, Debatten und Experimente: in Namibia, Indien, Brasilien… Ganz grundsätzlich geht es darum, dass jeder Mensch, unabhängig von Alter, Geschlecht etc. einen bestimmten existenzsichernden Geldbetrag regelmässig und garantiert zugewiesen bekommt, ohne dass er oder sie dafür eine „Bedürftigkeit“ nachweisen oder etwas Bestimmtes leisten muss.
Ein Problem bei der BGE-Bewegung ist nun, wie so oft, dass das Projekt meistens „neutral“ daherkommt. Häufig wird es von eher jüngeren, eher urbanen Männern als Zukunftsmodell zur Lösung aller möglichen akuten Fragen – Armut, Erwerbslosigkeit, Sinnlosigkeit in der Arbeit, Ungleichheit etc. – propagiert. Dabei wird der Eindruck erweckt, es wirke sich auf Frauen und Männer gleich aus, denn alle bekämen ja dieselbe Summe und könnten mit einem Grundeinkommen „frei entscheiden, was sie tun wollen“. Häufig wird die Geschlechterfrage – und damit auch Fragen wie die unbezahlte Hausarbeit, die unterbezahlte Care-Arbeit, spezifische weibliche Lebensläufe und Problemlagen, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Konditionierung, die Fürsorgeabhängigkeit aller Menschen etc. – dabei als irrelevant oder als Sache der Vergangenheit dargestellt oder überhaupt nicht thematisiert. Als Beispiel für diese „neutrale“ Konzeption zitiere ich den Text, den die Schweizer Volksinitiative in der Verfassung verankern möchte:
Art 110a (neu) Bedingungsloses Grundeinkommen
1.Der Bund sorgt für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.
2.Das Grundeinkommen soll der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen.
3.Das Gesetz regelt insbesondere die Finanzierung und die Höhe des Grundeinkommens.
Die grundsätzliche Frage, die uns hier im Workshop am meisten interessiert, ist: wie wir als genderbewusste Frauen und Männer mit solchen neutralen Formulierungen, die in der gängigen Politik an der Tagesordnung sind, umgehen können. Und zwar so, dass die Geschlechterdifferenz sichtbar wird und sich konstruktiv auf das gute Leben aller auswirkt. Und dann wollen wir mit euch natürlich auch die konkretere Frage diskutieren, ob und wie wir in diesem Sinne gemeinsam gezielt handeln bzw. weiterhandeln können. Denn es ist schon ziemlich viel passiert an der Schnittstelle von Grundeinkommensbewegung und postpatriarchaler Politik:
Die Workshopleiterin und ihr Gast
Zunächst möchte ich uns beide, die wir den Workshop vorbereitet haben, ausführlich vorstellen. Dadurch wird schon viel von den Schweizer Ereignissen, die wir exemplarisch diskutieren wollen, zur Sprache kommen:
Martha Beéry-Artho und ich, wir leben beide in der Schweiz. Wir sind beide seit langem in der Frauenbewegung engagiert. Und wir sind beide als Feministinnen bzw. postpatriarchale Denkerinnen zur Grundeinkommensbewegung gekommen, allerdings auf ganz verschiedenen Wegen, die sich erst im Frühjahr dieses Jahres 2013 getroffen haben.
Wir haben uns also erst über diese ganze spannende Geschichte kennengelernt, die ich gleich erzählen werde und in der sich Sozial- bzw. Wirtschaftspolitik, postpatriarchales Denken und Medienpolitik auf hochinteressante Weise kreuzen:
Ich, Ina Praetorius, befasse mich, zusammen mit den ABC-Autorinnen, schon seit Jahren mit dem bedingungslosen Grundeinkommen, und zwar kritisch-konstruktiv im Sinne der postpatriarchalen Wirtinschaft. Kurz nach dem Salzburger Symposion (2002) ist uns klar geworden, dass das Grundeinkommen ein wichtiges Zukunftsprojekt ist. Wenn es gut gedacht und umgesetzt wird, könnte es die Geschlechterfrage positiv in Bewegung und das gute Leben aller einen grossen Schritt weiter bringen. Wir haben deshalb schon im Jahr 2004 einen Grundlagentext zum Thema verfasst, ins Netz gestellt und mehrfach publiziert.
Aufgrund dieses Engagements bin ich Anfang 2012 Mitfrau im Komitee der „eidgenössischen Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ geworden. Und dieses Komitee, in dem ich nun allerdings die einzige postpatriarchal denkende Person bin, hat erfolgreich agiert. Im ursprünglichen Denkumenta-Programm stand noch dieser Satz: „Ob die … Schweizer Volksinitiative im Oktober 2013 eingereicht werden kann, wird Ende August voraussichtlich klar sein.“ Diesen Satz konnten wir kurz vor der Drucklegung des Programmkatalogs durch einen anderen ersetzen. Die Initiative ist nämlich tatsächlich zustande gekommen. Die dafür erforderlichen 100.000 beglaubigten Unterschriften waren Ende Juli beisammen. Am 4. Oktober 2013 wird die Volksinitiative in Bern eingereicht. Das bedeutet: in einigen Jahren wird es in der Schweiz eine Volksabstimmung dazu geben. Und dies wiederum bedeutet: die Debatte wird Fahrt aufnehmen. Denn es geht jetzt darum, den Initiativtext in der Regierung, in Verbänden, im Parlament, in den Medien, in der postpatriarchalen Bewegung etc. zu diskutieren, allenfalls einen Gegenvorschlag zu entwickeln etc. Es wird also spannend. Ich freue mich auf das, was jetzt kommt. Und ich werde mich weiterhin als die „postpatriarchale Nervensäge vom Dienst“ in der BGE-Bewegung betätigen. Diese vielsagende Selbstbezeichnung habe ich mir im Zuge meiner zuweilen ziemlich heftigen Auseinandersetzungen im Komitee und mit Medienleuten zugelegt.
Anders als ich ist Martha Beéry-Artho nicht im engeren Sinne BGE-Aktivistin. Sie ist über die Medienkritik auf das Thema gestossen. Und sie hat einen spektakulären medienpolitischen Sieg errungen: Kurz nach der Lancierung der Initiative im Frühjahr 2012 gab es nämlich eine vielbeachtete Diskussionssendung, genannt „Arena“, zum Thema im Schweizer Fernsehen. In dieser Sendung redeten Männer 72 Minuten, Frauen 3 Minuten. Eine Expertin für das Thema Grundeinkommen war nicht eingeladen, und die Frage, wie sich das BGE und der damit verbundene Systemwechsel auf weibliche Lebensläufe auswirken werden, kam nicht zur Sprache.
Gegen diese Sendung hat Martha Beéry-Artho offiziell Beschwerde eingereicht. Erst wurde ihr Einspruch vom „Ombudsmann Radio und Fernsehen“ abgewiesen, dann wurde er von der höchsten Medienkontrollinstanz „Unabhängige Beschwerdeinstanz Radio und Fernsehen“ einstimmig gut geheissen. Dabei handelt es sich um eine epochale Entscheidung. Sie beinhaltet nämlich die Aussage, dass eine mangelnde Darstellung der Geschlechterdifferenz gleichzusetzen ist mit mangelnder Sachgerechtigkeit. Die Geschichte geht aber noch weiter: Die Fernsehgesellschaft SRG akzeptiert nämlich dieses Urteil nicht und hat den Fall ans höchste Gericht weitergezogen. Und auf die Entscheidung des Bundesgerichts warten wir jetzt. Martha Beéry-Artho tritt jetzt also, zusammen mit der höchsten Medienkontrollinstanz, vor dem höchsten Gericht gegen die mächtige Fernsehgesellschaft an. Ich werde sie nachher zu ihren Erfahrungen befragen.
Eingreifen, wo es nötig ist
Ihr seht: die Geschichte ist noch nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: sie nimmt jetzt, mit dem Zustandekommen der Initiative und dem ausstehenden Bundesgerichtsentscheid, neue Brisanz an. Sie befindet sich in vollem Gang und ist sehr komplex und spannend.
Ich selber habe in den vergangenen Monaten vor allem daran gearbeitet, die postpatriarchale Debatte über das BGE in die Öffentlichkeit zu tragen. Ich habe dazu einen Twitter-Hashtag #BGEBundesgericht eingerichtet und vorerst siebzehn Blogposts auf meinem DurchEinAnderblog publiziert. Auch auf Antje Schrupps Blog „Liebe zur Freiheit“, auf der Netzplattform „beziehungsweise-weiterdenken“ und im österreichischen „dieStandard“ sind Texte erschienen und Debatten gelaufen. Ausserdem habe ich sämtliche grosse Deutschschweizer Printmedien angeschrieben, bisher ohne viel greifbaren Erfolg. Aber im Zeitalter von Socialmedia ist ja die ganze Medienlandschaft zum Experimentierfeld geworden. Es gibt nicht mehr wie früher nur die eine Medienöffentlichkeit, zu der ich nur über Redaktionen und Profi-JournalistInnen Zugang bekomme, sondern ich kann selbst sekundenschnell im Netz publizieren und mir meine eigene Gefolgschaft zusammenbauen. Andere Socialmedia-erfahrene ABC-Autorinnen, insbesondere Antje Schrupp in Deutschland und Michaela Moser in Österreich haben mir dabei gute freundschaftliche Dienste geleistet. Das macht alles grossen Spass, und ich empfehle es zur Nachahmung!
Martha ist inzwischen auf ihre Art tätig. Sie vertritt die Auffassung, dass es wichtig ist, sich als Frau gut zu überlegen, wo und wie ich in politische Prozesse eingreifen will. Es gilt ihrer Meinung nach vor allem auch die offiziellen Kanäle, zum Beispiel, was die Schweizer Politlandschaft angeht, diesen Beschwerdeweg bei der Ombudsstelle und der UBI zu nutzen. Dazu braucht es einen langen Atem und viel Energie und Selbstbewusstsein. Und wie wir sehen, kann diese Art der Aktivität erfolgreich sein. Ich möchte jetzt Martha direkt zu ihrer Art des Vorgehens befragen:
Gespräch mit Martha Beéry-Artho
Das anschliessende Gespräch mit Martha Beéry-Artho ist nicht aufgezeichnet. Ein vergleichbares Interview, das allerdings bereits im Mai geführt wurde, kann man hier nachlesen.
Diskussion
In der anschliessenden Denkumenta-Diskussion ging es vor allem darum, die dargestellten Zusammenhänge zwischen internationaler BGE-Bewegung, Schweizer BGE-Volksinitiative, Medienpolitik und postpatriarchalem Denken genauer zu verstehen. Am Schluss standen zahlreiche Vorschläge für konkrete Aktionen im Raum, die jetzt auf Umsetzung warten: eine Blogparade zum Thema, postpatriarchale Crashkurse, vergleichbare medienpolitische Vorstösse in anderen Ländern, Vernetzung mit der US-amerikanischen „Caring Economy Campaign“… Was noch?
Ina Praetorius, Wattwil, 17. September 2013
3 Kommentare Gib deinen ab